Bon Jovi haben ein neues Album veröffentlicht, und ob ich lachen oder weinen soll, weiß ich selbst noch nicht so genau. Nachzulesen ist das Chaos der Emotionen in folgender „Top oder Flop-Rezi“, die in einschlägigen Magazinen dazu verwendet wird, zwei Autoren ihre unterschiedlichen Meinungen schildern zu lassen. Heute: Ich gegen mich selbst.
Bon Jovi
WHAT ABOUT NOW
3/7 (Songwriting: 4 – Sound: 3 – Hörspaß: 2)
Bon Jovi haben ihre Power verloren. Bon Jovi reißen nichts mehr. Bon Jovi klingen gar nicht mehr nach Rock. All das mag seit Jahren auf eine der erfolgreichsten und beliebtesten Bands der Welt zutreffen, und ja, das trifft leider auch auf ihr neues Album WHAT ABOUT NOW zu. Nicht falsch verstehen: Es gibt darauf durchaus interessante Nummern: Der Einsteiger ‘Because We Can’ ist trotz des un-fass-bar peinlichen Titels und des ewigen „take-a-stand“-Gestammels so eine, das relative (an schlechten Tagen gar ohrwurmträchtige) Highlight ‘That´s What The Water Made Me’ und auch der Titeltrack rocken, sagen wir mal, ganz ambitioniert vor sich hin. Dazu lassen sich ein paar Stücke auffinden, die vollkommen egal sind und gar nicht erst erwähnt werden müssen. Was aber definitiv erwähnt werden muss, ist der negative Höhepunkt ‘Army Of One’ – was zum Teufel hat die Jersey-Boys da nur geritten? Eine nichtssagende Melodie mit seltsamem Rhythmus untermalt einen Text, der als bodenlose Frechheit bezeichnet werden muss. Selbst Menschen, die im Moment eine massive Lebenskrise zu meistern haben, werden mit dieser gefühlt tausensten Durchhaltenummer nichts anfangen können. Annährend so furchtbar, weil so unerträglich weich gewaschen, sind die Songs ‘I´m With You’, ‘Amen’ und ‘What´s Left Of Me’. Und, als wäre das alles nicht schon genug, scheint sich ein neues textliches Muster abzuzeichnen: Wo früher „swear to you“ und „die for you“ regierten, verkünden die Jovis heute am laufenden Band „never give up“, „take a stand“ und „proof to you“. Oh Mann. Warum machen es sich diese Jungs, ach was, diese gestandenen Herren eigentlich so verdammt schwer? Sie könnten es doch so viel besser, das haben sie schon oft bewiesen – der (eben aus der aktuellen Amerika-Tour ausgestiegene) Richie Sambora beispielsweise erst im Herbst mit seinem Soloalbum AFTERMATH OF THE LOWDOWN und den dazugehörigen Konzerten. So jedoch muss Bon Jovi leider auch nach mehrmaligem Hören von WHAT ABOUT NOW konstatiert werden, dass ihnen die Power fehlt und sie an vielen Stellen gar nicht mehr nach Rock klingen. Die Erwartungen sinken mit jedem neuen Album, und der geneigte Die-Hard-Fan kann nur beten, dass Jon Bon und seine Mannen in den drei Live-Stunden nicht allzu viele neue Songs spielen werden. Alles andere wäre eine herbe Enttäuschung.
Bon Jovi
WHAT ABOUT NOW
6/7 (Tiefsinnigkeit: 5 – Nostalgiefaktor: 6 – Live-Vorfreude: 6)
Everyday… of my life… has been leading me here tonight: Endlich halte ich das neue Album meiner ersten großen musikalischen Liebe Bon Jovi in den Händen. Das letzte Album THE CIRCLE ist vier Jahre her, es wurde also dringend Zeit für neuen Stoff. Ein schickes Artwork haben sich die „Jersey-Boys“ für ihr Werk WHAT ABOUT NOW auch ausgedacht, das macht doch was her. Die Single ’Because We Can‘ lief bereits im Radio, und wäre da nicht dieser seltsame Songtitel, würde ich sagen: So kann man ein Rockalbum heutzutage durchaus beginnen. Apropos beginnen: Anfang des Jahres habe ich die Jungs live gesehen, und zwar auf der ganz kleinen Bühne im Stuttgarter Club Zapata vor nur gut 600 Leuten. Let it rock, let it go, you can´t stop a fire burning out of control – welch ein Glücksgefühl! Bon Jovi bringen es live noch immer mehr als viele andere Bands… Oh, ’What About Now‘ läuft an, der Titeltrack. Irgendwie gefällt mir der Titel, der die Ungewissheit heutiger Zeiten wiederspiegelt und auch irgendwie die Gedanken über den momentanen Status von Bon Jovi. In meinen Augen können sie veröffentlichen, was sie wollen, die wilden Zeiten und Alben waren meine liebsten. Nichtsdestotrotz fühle ich mich bei jeder neuen Platte wieder wie das kleine Teenager-Mädchen von damals. Ich summe bei ’Pictures Of You‘ unwillkürlich mit, lasse meine Gedanken zu meiner ersten Begegnung mit der Band und ihrer Musik schweifen, zu meinem ersten Konzert im Münchner Olympiastadion, zu meiner heiligen, mit unzähligen Bon Jovi-Bildern vollgeklebten Tapete im Teenie-Zimmer, zu unzähligen Stunden in Bon Jovi-Internetforen, Fanclub-Treffen im Hardrock-Cafe und einem Stalking-Versuch, der mich auf einen sündhaft teuren Kaffee bis ins Hotel Bayerischer Hof führte. Das hat gerockt. Apropos, mit ’That´s What The Water Made Me‘ haben die Jovis einen richtigen Ohrwurm am Start… In meinem Regal türmen sich die Biografie-Bücher, in meinem Kopf die Bilder, und selbst meine Konzertjeans und die entsprechenden Turnschuhe habe ich damals mit dem Bon Jovi-Logo verziert und meine Mitstreiter darauf unterschreiben lassen. Meine Vergangenheit zieht an mir vorbei wie das Album an meinen Ohren, und wenn man sich ’Beautiful World‘ vor diesem Hintergrund anhört, klingt das doch gar nicht so schlecht. Irgendwie haben es Bon Jovi ja auch schwer – wer auf eine so große und uneinheitliche Zielgruppe vertrauen kann, wer Familien in vier Generationen auf Konzerte zieht, der kann eben nicht nur Hair Metal- oder Hard Rock-Songs a la ’Prayer‘ schreiben. Hauptsache, sie bringen den Song im Sommer wieder in seiner ursprünglichen rockigen Version und nicht in der akustischen Verunstaltung. Live kann Bon Jovi sowieso keiner was, und die Tatsache, dass sie in diesem Jahr am selben Tag wie Iron Maiden in meiner Stadt spielen und ich mich für eine der beiden Alternative entscheiden muss, bricht mir das Herz deutlich mehr als das neue Album WHAT ABOUT NOW.